Alpenüberquerung E5 zu Fuß in 6 Tagen
Die Vorbereitung 2017
Und eines morgens um 6 Uhr, so etwa im Mai, hörte ich schläfrig Radio, SWR1, an. Alpenüberquerung zu Fuß. Wie zu Fuß, ist das möglich? Ja, klar, warum nicht, hört sich doch toll an. Alpenüberquerung! Wie hoch sind die eigentlich? Egal. Ich fragte meine Frau, Tanja, während dem Zähneputzen, ob Sie damit einverstanden sei? Ich lauf los und auf der anderen Seite treffen wir uns wieder, zusammen mit den Jungs, zum Urlaub machen. Was für ein tollkühner Plan, sie konnte ja nur damit einverstanden sein! Gefahren? Weiß nicht, bestimmt. Ich hab früher auf dem drei Meter Brett auch immer Angst gehabt, gesprungen bin ich immer. Sogar Bungy Jump, 60 Meter, das war dann allerdings nicht so einfach, auf den Fußspitzen auf einem Brettchen zu stehen und mal ganz tief runterschauen. Gesprungen bin ich trotzdem. Und schon auf halber Höhe – das Band hat gehalten – wollte ich wieder, damals in der Normandie. AJ Hackett, wurde in Neuseeland gründet. Gab davon ein paar Lokations weltweit, mitunter in Frankreich. Und mit 17 konnte ich das doch ausprobieren. Bin mir nicht mal sicher, ob ich damals etwas meinen Eltern gesagt hatte. Offiziell war es ein Besuch im Disney Land. Kitsch, auch die Busfahrt mit einigen Älteren (so im Schnitt 4-6 Jahre, die Gruppe war so um die 20 Leute groß und bestand hauptsächlich aus einem großen Freundeskreis rund um die Nachbarjungs) war lang.
Ich kann mich noch sehr gut an die Hängebrücke erinnern. Das Brettchen wurde auf einem ehemaligen Aquädukt angebracht, zuvor wurde ich gewogen um die Seillänge einzustellen. Wird schon schief gehen und schon wurde zurück gezählt: 3-2-1-los – ein zarter Schubser und schon bin ich geflogen, mit offenem Mund und geschlossenen Augen. Ich wollte schreien, aber es ging nicht, so groß war der Luftstrom, den ich in meine Lunge bekam. Das Gefühl auf dem Brett, die Todesangst, der Blick in die Tiefe, das alles hat sich mir eingebrannt. Genauso wie die Klarheit, in Sicherheit gewesen zu sein, nachdem das Seil gehalten hatte. Die Kombination war unglaublich intensiv. Ich fühlte mich auf einmal unsterblich, unbesiegbar. Zuvor so verletzlich und klein, ängstlich und zu einem gewissen Grad auch verstört. Warum um alles Willen so eine Mutprobe? Was hat mich angetrieben? Vielleicht war es das tiefe Bedürfnis, das Leben bestätigt haben zu wollen. Ich hab mich auf jeden Fall danach lebendiger gefühlt.
Aber ist es mit einer möglichen Alpenüberquerung ähnlich? Sollte sich hier mein Leben bestätigen? Offiziell als Begründung und Erklärung gegenüber meiner Frau war, dass ich mir im Klaren sein möchte, was die Beziehung zu meinem totkranken Vater anbelangte. Das konnte sie natürlich nachvollziehen. Wir haben nie über die Risiken - die so ein Unternehmen mit sich bringt - gesprochen. Sie ließ mich gehen im Vertrauen, dass ich schon wüsste was ich tue. Bin ja schließlich alt genug.
Ich tat aber auch alles, um professionell und trittsicher aufzutreten. Zu aller erst habe ich mir Videos angeschaut. E5: mit 5 bis 90 Jährigen, ja sogar Hunde, alles kein Problem. Du kommst sicher drüber, der Klassiker ist von Oberstdorf nach Meran, ein paar Hütten dazwischen und los geht’s. Ach stimmt, ich habe mich bei der deutschen Alpenvereinigung (DAV) angemeldet um im Falle des Falles versichert zu sein.
Da wir vor Ort auf der schwäbischen Alb einen schönen Traufweg haben (und ich diesen by the way noch nie gelaufen bin) dachte ich mir, hier kannst du schon mal üben. Ist zwar nicht so hoch und steil wie die Alpen, aber um die Technik mit den Stöckchen bzw. Trailstöcke zu erlernen langt es doch. Bestimmt braucht man neben diesen unterstützenden Elementen noch weitere nützliches Equipment. Bestenfalls lasse ich mir beraten und gehe in einen Laden und frag mal nach. Der Verkäufer war – und da bin ich ganz ehrlich – ein toller Verkäufer. Hmjjaaa, bei Regen, bei Schnee (ich lernte, dass Regen ab 2000m zu Schnee werden kann – aber dazu später), Untergrundverhältnissen usw. da müssen wir uns auf alles vorbereiten. Einverstanden, ich hab meine Geburtstagsrabattkarte dabei! Mir waren die Schuhe sehr wichtig, ich musste ja schließlich hoch und runter damit laufen können. Einen Kompass? Nö, ich hab mein E5 Reiseführer dabei. GPS Uhren – gute Idee, was kosten denn die? Ich durfte meinen Geburtstagsrabatt einlösen und unglaublich viele Meilen sammeln. Aber ich war nun ausgestattet. Ich war bereit, für ein Abenteuer, dessen Tragweite ich voller Naivität nicht abgesehen habe können.
Mein bester Freund, Christoph, hatte leider seinen Urlaub schon genommen, das Zeitfenster war klein, Anfang August. Teilweise waren alle freien Betten auf den Hütten schon belegt. Mit Google Maps habe ich um die klassischen Etappenziele herumgebaut. Über booking.com gab es in der mittleren Etappen (in Summe bin ich sechs gelaufen) noch freie Zimmer. Sogar mit Dusche, super, und preislich…egal. Hauptsache ein Dach über dem Kopf.
Meine Höhenangst wollte ich mit einem Kletterkurs besiegen. Ganze 19m hab ich es an einem Seil in die Höhe geschafft, ohne mir in die Hose zu machen. Meine Jungs standen großäugig ebenfalls in der Kletterhalle und haben genauso wie ich gehofft, dass der Instruktor das Seil fest in der Hand behält.





Tag 1. Oberstdorf - Kemptner Hütte
Länge: 20 Kilometer,
Dauer: 5 Stunden,
Höhenmeter: 1.100 Hm,
Höchster Punkt: Kemptner Hütte (1.846 m)
Geschafft, jetzt konnte es losgehen. Die Route habe ich mir über Google Maps öfters angeschaut. Die Etappen waren klar abgesteckt. Die Übernachtungen gebucht, mal in Hütten, mal in Hotels. Die Woche war vorgegeben, da die Verfügbarkeit zur Hochsaison (August) knapp war. An einem Donnerstag ging es los. Ich fuhr nach Oberstdorf alleine mit dem Auto. Meinen Vater habe ich davor noch kurz zum Kaffee auf der Strecke getroffen. Ich solle auf jeden Fall nicht gehen. Das Wetter sei nicht gut. Bekannte von ihm waren in der Gegend unterwegs und mussten umkehren. So schwer hat es geregnet und in höheren Lagen wurde Schneefall gemeldet. So ein Wetter kann gefährlich sein. Ja, bloß nicht losgehen. Ich habe keine Ahnung wie schnell das Wetter umschlagen kann. Also, natürlich, jetzt erst recht. Dennoch, mit einem mulmigen Gefühl bin ich dann die drei Stunden hingefahren. Die Suche nach einem Parkplatz war mal wieder ein Abenteuer. Wie bekomme ich nun eine ein Wochen Genehmigung? Wie, man musste zuerst eine App runterladen? Mit Passwort erstellen und so, ansonsten wird man abgeschleppt. Es dauerte fast eine Stunde, bis ich den Unterschied zwischen Benachrichtigung per SMS zur Whatsapp richtig verstanden hatte. Aja, da war ja der doofe Zugriffscode. Es konnte also losgehen. Schnell noch ein Bestätigungs-Selfie. Aber wohin nun?
Die Wolken hingen verhangen dicht, Nebel, schlechte Sicht bevor es nur einen Schritt aus Oberstdorf hinausging. Vielleicht hilft ja Google Maps und schließlich hatte ich ja auch einen Kompass in der eigens für dieses Event neu gekauften teuren Garmin. Es half alles nichts, ich war wohl doch ein wenig zu aufgeregt. Chris mein Freund, hat mich dann übers Telefon erstmal rausgelotst. Er saß in Frankfurt an seinem Computer und konnte mich zielsicher aus dem Wirrwarr herausgeleiten, in Richtung Kemptener Hütte auf 1800m. Er kann das, ja, er ist der kluge und begabte Kopf hinter vielen Projekten unser mittlerweile 40 jährigen Freundschaft. Es ist so schade, dass er berufsbedingt nicht dabei sein kann. Per Telefon läuft er sozusagen digital und im Geiste in meinem Herzen mit. Und nun standen dann auch in roter Farbe an markanten Punkten die Kombinaten E5.
Ich war auf Kurs. Mutig ging es los in Richtung Berge. So Richtung grob Süden, besser gesagt steil nach oben. Die anfangs geteerten Wege wichen mehr und mehr geschotterten Pfaden, rechts und links wurde es gefühlt enger. An Seen vorbei. Es regnete, der Himmel war verhangen. Ein Wind kam auf. Noch bin ich trittsicher den breiten Weg den Schildern gefolgt. Es steht geschrieben, dass die erste Etappe einfach ist und so um die 6h dauert. Frohen Mutes habe ich meine Stöckchen ausgefahren, natürlich um in erster Linie meine Gelenke zu schonen und ein wenig mehr Gripp zu bekommen. Ganz schön rutschig, so die geschlungenen Pfade nach oben. Der Regen wurde von den großen Laubbäumen abgehalten. Ich zog zur Sicherheit meinen Regenponcho an. Die Route wurde immer glitschiger und unkontrollierbarer. Die Bäche, anfangs noch lustig verspielt, sind größer, reißender und lauter geworden. Langsam wurde es dunkler, die Wolken hingen dicht zusammen, der Regen wurde stärker, es wurde steiler und schwieriger Fuß zu fassen. Die erste Überquerung von dem reißenden Bach war eher provisorisch angelegt.
Zwei Leitern, die zusammengebunden waren, ca. 5m lang, mit dünnen Seilchen zum Festhalten. Ok, den Blick geradeaus, Schritt für Schritt. Ganz schön wackelige Angelegenheit. Geschafft, weiter geht’s. Alleine, regen, hochwärts an Gedenkkreuzen vorbei – hier starb Elmar, 40, er hinterlässt 3 Kinder – wer um alles in der Welt musste genau hier dieses Kreuz anbringen. Mich schauerte es, mir war jetzt kalt, es dämmerte, der Bach tobte, ich hatte Angst! Jetzt wurden auch noch meine Beine weich. Toll, richtig toll, welcher Idiot kam denn bloß auf so eine bescheuerte Idee? Zurück? Nö, noch nicht. War doch eh zu rutschig runterwärts, meine Stöckchen hatte ich auch noch nicht so unter Kontrolle. Also weiter. Der Regen kam gebündelt den Hang runter. Unter mir tobte der ein Wasserschauspiel, nur ein seitwärts Tritt und ich fliege 20m runter, in die Tiefe, und dann? Ein weiteres Kreuz? Mein Jungs, oh Gott und meine Frau, wo bin ich hier? Befestigungsseile sollten Übergänge bzw. schmale Wege absichern. Mit zittrigen Knien und mit kalten Händen umfasste ich zum einen die blöden Stöckchen und zum anderen die harten Stahlseile, verdammt, die waren gesprungen, ich verletzte mich in der Innenhandseite. Die fing an zu bluten. Ich rutschte ab und klammerte mich unter dem Vater unser an dem Stahlseil fest. Und was jetzt? Ruhig, ganz ruhig. Luft holen, einatmen, ausatmen. Beten. Schritt für Schritt, vorsichtig entlang – ich hatte Todesangst.
Und nein, es war weder romantisch noch hat es Spaß gemacht. Ich war durch. Mental wie auch körperlich. Die letzten 500m hochwärts gingen Gott sei Dank an dem Wasserfall vorbei. Im Schlängelgang nach oben. Total durchnässt und durchgefroren kam ich in der Dunkelheit bei der Hütte an. Die nasse Kleidung wurde im Keller aufgehängt, der Rucksack war teilweise auch feucht geworden. Kein Handyempfang. Socken umziehen, Pantoffeln an, Rezeption, Zimmer zu acht, Bar, drei Weizen, zwei Schnaps, bettfertig, leck mich am Arsch!










Tag 2. Kemptner Hütte - Memminger Hütte
Los, irgendwie hab ich dann auch die feuchten Kleider im Keller gefunden. Unglaublich, die vielen Stöckchen standen alle an ihrem Platz. Keiner nimmt hier einfach dem anderen etwas weg. Ein ungeschriebenes Gesetz. Sehr beruhigend. Mit Klötzen an den Füßen ging es weiter, Sichtweite 50m. In Richtung Österreich – also weiter in den Süden. Nach so 10-15min kam dann auch ein Schild bei dem sich weitere Wanderer in Gruppen davor eingereiht haben, um der Nachwelt den Eindruck per Foto festzuhalten. Schnell weiter. Wohin eigentlich? Dem schmalen Weg, den anderen hinterher. Nieselregen, kalt.
Langsam wurde es mir wärmer. Nach einer Weile konnte ich mir aussuchen, welchen Weg ich einschlagen möchte. Ich hab mich für den kürzeren Weg entschieden. Über eine Hängeseilbrücke zu Holzgau – 200m lang und 105m hoch. Anscheinend würden über 600 Personen gleichzeitig darauf passen. Die Brücke schwingte leicht. Bloß wieder nicht nach unten schauen, immer geradeaus.
Jetzt kam auch noch Gegenverkehr, unglaublich, in dieser Höhe, ich hab mich krampfhaft an der Seilen gehalten und hab es gefühlt nach Stunden geschafft, letztlich auf die andere Seite zu kommen. Ja, super, so hab ich mir das vorgestellt, schönes Wetter und Romantik pur. Diese ganzen Youtube Videos und Reiseführer…echt…die Realität sieht anders aus, bzw. meine Wahrnehmung. Zu diesem Zeitpunkt muss ich ganz klar sagen, eher bedrohlich das Ganze für mich. Warum wollte ich nochmal diesen Spaß machen? Aber jetzt zurück, wieder nach Oberstdorf, nein, keine Option, viel zu steil und rutschig. Irgendjemand hat gesagt, runter sei es schwieriger, warum auch immer. In einen von den vielen Tälern gibt es doch auch eine Bahn. Also, wenn alle Strick reißen, weiter geht’s.
Endlich mal gemütlich im Lechtal entlang, schön, die Lech, so Türkis, so voller Energie. Es hat aufgehört zu regnen, durch Dörfer durch, es gab Menschen und vereinzelt Wanderer, die so wie ich nach dem E5 Zeichen – meist rot eingefärbt, aufgesprüht und an markanten Stellen angebracht.
Ja, warum mach ich das alles hier? Ist es, mir etwas zu beweisen? So nach dem Motto, zu Fuß über die Alpen – vom Albtrauf 800m über 3000m. Was war es? War es die Suche, nach was, nach Erkenntnis, nach Antworten? Was bedeutet mir mein Vater? Oder einfach mal den Kopf freibekommen, ein Abendteuer, alleine (ja, leider alleine, ohne Freund und Familie) das Wagnis einzugehen. Ich bekam keine Antwort und trottete für mich weiter.
So langsam ging es wieder in die Höhe, ein Gewitter zog auf, und so auf 2000m hört sich das sehr laut, direkt, nah und bedrohlich an. Weiter. Diesmal sehr steil, wie eine Bergziege in Richtung Hütte.
Vereinzelt kamen Murmeltiere zum Vorschein, schön. Die Hütte war sehr einladend. Weizen, bitte, ja nochmal, sehr gut. Gute Nacht.










Tag 3. Memminger Hütte - Skihütte Zams
Und tatsächlich, ab einer bestimmten Höhe wird Regen zu Schnee. Gehört klar zum Allgemeinwissen dazu, wenn man sich so alleine nur in der Natur zwischen Bergen, ohne Sicht bzw. Nebel aufhält, dann kann diese Tatsache schon zu einer plötzlichen Einsicht führen. Bis dato habe ich keine Dusche gehabt, es gab viele Gründe, warum ich das einfach verschoben hatte. Auch am dritten Tage war das Aufstehen mit der bangen Frage verbunden: wie wird es nun, welche Gefahren lauern jetzt um die Ecke? Ich habe mich noch nicht daran gewöhnt, seine Schritte, Tritte unter Kontrolle haben zu müssen. Genau zu wissen, wohin man die Stöcke ansetzen sollte, so dass sie Grip haben, so dass ich stabil mich im Gelände fortbewegen konnte. Es ist mir sehr bewusst geworden, entweder du konzentrierst dich auf jeden einzelnen Schritt oder du schwebst in Lebensgefahr. Zu eng waren manche Passagen, zu „ausgesetzt“, auch wenn Stellen durch Befestigungsseile unterstützt wurden, so hieß es für mich noch lange nicht, dass ich hier schwindelfrei, trittsicher und mit stabilem Gleichgewicht den Weg bewältige. Ich bin ein Narr. Ein hoffnungsloser Romantiker und ein Riesenegoist dazu. Wie konnte ich mich auf dieses Wagnis und Abenteuer einlassen, mit dieser Vorbereitung, ohne daran gedacht zu haben, dass ich eine Frau mit drei kleinen Kindern zu Hause hatte? Ich bin über mich selber erschrocken und dementsprechend sah mein Spiegelbild an diesem dritten Morgen aus.
Die Sicht war schlecht. Es ging in die Seescharte hinauf, im langsamen Gang. Das Gepäck nass und gefühlt schwerer, die Schuhe dauerfeucht. Ja, schon, noch trockene und neue Socken. Es wurde weiß, es wurde eng, Sicht ein paar Meter, wo bin ich hier? Das musste sich wohl auch ein Pärchen gedacht haben, dass unmittelbar vor mit langsam vor sich hinschlich. Er schaffte es allerdings von beiden bei allen möglichen Situationen seine Superkamera gekonnt einzusetzen. Mir wurde die Luft langsam zu dünn. Wann kommt die Scharte? Was ist übrigens eine Scharte? Muss wohl so eine Art Öffnung sein, durch die man durchkommt, wenn man auf die andere Seite möchte. Was ist dann auf der anderen Seite? Was erwartet mich? Wieder entlegene Stellen, wieder ein Stahlseil. Es geht es darum die Nerven zu behalten. Der Gute mit der Kamera direkt vor mir, seine Freundin entgeistert hinter uns. Irgendwie ging es dann durch diese komische Öffnung, drum herum konnte ich nichts erkennen, vor Wind und Wetter. Egal geschafft, irgendwo auf irgendwelchen Höhenmetern, es ging nun wieder bergab. Anscheinend mehr als 2000 Metern Richtung Zams.
Die Freundin vom Kameramann war völlig aufgelöst, so wie ich, nur dass sie heulte, Schüttelfrost hatte und offensichtlich überhaupt keinen Bock mehr hatte. Canon-Mann – und leider habe ich seinen Namen vergessen, ein sehr offener, trittsicher und netter Kollege hatte alle Hände voll zu tun, seine Freundin – die übrigens gar nicht seine Freundin war wie sich herausstellte, sondern Arbeitskollegin…soso...zu überzeugen, dass ein Hügel bzw. Berg zwei Seiten hatte, nämlich eine nach oben und eine nach unten.
Und dieser Weg nach unten zog sich ewig. Auf verschiedenen Ebenen ging es langsam aber sicher Schritt für Schritt nach unten. An Bächen und Kühen vorbei, Wiesen und Wäldern, und tatsächlich, die Wolken wurden weniger, das erste Mal seit dem Start in Oberstdorf kam sogar die Sonne heraus. Wir liefen zu dritt gemeinsam auf den Pfaden.
An massiven Steinwänden vorbei, der Weg ca. 2m breit auf der einen Seite, auf der anderen Seite ca. 200m in die Tiefe. Wieder vernahm ich Protestgeheul von der Arbeitskollegin, mir ging es genauso, Luft holen, tief Luft holen, Schritt für Schritt, ich bin gaaanz ruhig.
Canon Mann meinte, er sei unglaublich trittsicher, natürlich, warum auch nicht, ich konnte das von mir definitiv immer noch nicht sagen. Er rutschte aus, es war nass, er hing so halb auf dem Weg, halb mit einem Fuß im Nirgendwo, ich lief dicht hinter ihm, als er ausrutschte, hier mein Stock oder besser, meine Hand. Blöde Situation, dass wusste auch seine Arbeitskollegin wortstark. Danach wurde sie ruhig, für die nächsten 2h bergab.
Nach einer gefühlten Ewigkeit dann Zams, Autos, Menschen und mit einer Seilbahn auf der anderen Seite des Tals zu der Skihütte. Endlich, Weizen, Dusche, Weizen, Wurstsalat. Endlich.
Canon Mann und seine Arbeitskollegin waren durch mit der Tour. Also fertig. Sie beschlossen, mit dem Zug nach Hause zu fahren. Geplant war ursprünglich bis nach Meran zu wandern. Wo ich denn die nächste Übernachtung hätte? In irgendeiner Pension, unterhalb von der klassischen Route. Sie gaben mir Ihre Hüttentickets – Braunschweiger Hütte (notorisch überbucht). Stark, ich konnte ohne große Umwege die Strecke weitergehen. Gleichzeitig schenkte sie mir ihr E5 Routenbuch mit all den Beschreibungen. Super. Ich beschloss, das Kleingedruckte mir genau durchzulesen. Es musste doch irgendwie möglich sein, sich auf die schwierigen Passagen mental und geistig besser vorbereiten zu können. Bis jetzt bin ich immer so in die Situationen reingekommen, ohne Vorwarnung, ohne Vorbereitung, naiv und kindlich, wie ich bin.
Spaß? Erholung? Romantik? Genuss? Aussicht? Totale Fehlanzeige. Sonstige Erkenntnisse? Ja, es gibt wohl nichts wichtigeres als Familie/Freunde und Gesundheit auf der Welt. Du bist in dieser massiven, schonungslosen Natur ein Nichts, unwichtig, klein und verletzlich. Ausgeliefert.










Tag 4. Skihütte Zams - Braunschweigerhütte
Ha. Diesmal mach ich alles anders. Das Kleingedruckte hab ich mir durchgelesen. Es gibt alternative Routen, die keine entlegenen Felsabschnitte hatten. Die nächste Route ging über einen Grat. Ich wusste nun sicher, dass ein Grat die Angewohnheit hatte links und rechts einen Abgrund zu haben. Das gilt es doch zu vermeiden. Nicht wahr?
Der Küchenwirt war noch nicht da. Frische Luft und warten, endlich auch Sicht. Wahnsinn, dadurch (Scharte) soll ich auf der anderen Seite des Tals so auf 2700m durchgekommen sein? Respekt. Und dann der ganze Weg auch wieder runter. Beim Warten ist mir ein Einheimischer begegnet. Woher ich komme? Aus Deutschland, nein, von welcher Route her kommend? Selbstbewusst und klar im Blick – von dort drüben! Jaja, so der Einheimische, was niemanden so gesagt wird ist, dass bei dieser Begehung jedes Jahr Wanderer ums Leben kommen, es kann sehr rutschig werden. So, so….
Ja und wie sieht es dann vor uns aus, Richtung dort drüber auf die nächste Seite. Kein Problem. Nein wirklich nicht, du musst nicht trittsicher sein. Ach was! Na dann, so soll es sein. Es war warm nach dem Frühstück, und wohlgestärkt ging es an Kühen hoch den Weg. Schön, die Aussicht, da drüben muss irgendwo Italien sein. Grat, aber ein sehr breiter, diesmal ohne Probleme, ich wurde schneller und trittsicher, fast übermütig. Nach 5h ging es mit dem Bus durchs Pitztal von Wenn´s nach Mittelberg. Auf dem Weg runter habe ich drei Wanderer kennengelernt. Eine Frau mit Ihrem Freund aus England, ein weiterer aus Spanien. Sie trainieren auf den Marathon de Sables in Marokko und haben für die Überquerung der Alpen max. 7kg Gewicht dabei. Denn nur so viel darf man bei dem Marathon mitnehmen. Ich hatte so um die 11-12 kg im Gepäck. Was hab ich anders gemacht? Wir liefen das letzte Stück gemeinsam den steilen Weg nach oben zur Braunschweiger Hütte. Die Sonne kam heraus, es wurde wärmer, die Gletscher waren direkt vor uns. Toll. So kann es weitergehen. Die letzte Passage war für meine Verhältnis in Ordnung. Oben bei 2700 Metern schließlich angekommen musste ich ja noch im Hotel absagen. Ich hatte auf dem ganzen Weg keins gesehen. Es musste wohl auf der anderen Seite vom Gletscher sein. Mensch hatte ich ein Glück. Das zusätzliche Stück hätte ich nicht mehr ohne weiteres geschafft.
Ein obligatorisches Hemd durfte nicht fehlen. Und so genoss ich die untergehende Sonne und freute mich, wohl hier oben sein. Wie mochte es nun weiter gehen? Das erste Mal seit dem Anfang dieser Tour wurden die Kleidungsstücke wieder trocken. Drei Tage am Stück bei Regen, Wind, Schnee, Kälte. Nein, es war nicht romantisch, im Gegenteil, die gemeinsamen Duschvorrichtungen, wenn es welche gab sowie die Schlafplätze teilweise zu 20izgt oder mehr…nein, Romantik fühlt sich wirklich anders an. Also wieder das Warum? Warum bloß, diese Strapazen. Warum bloß dieses Abenteuer, welches für mich gefährlich war. Ich hing so meinen Gedanken zusammen mit meinem Weizen nach. Und bin schließlich ohne eine für mich plausible oder sinnfüllende Antwort ins Bett gewankt.










Tag 5. Braunschweigerhütte - Zwieselstein
Die Gletscher werden von der Morgensonne wachgeküsst. Das sieht schon sehr imposant aus. Die Gebirgszüge strecken sich in einem ständigen, zackigen Auf und Ab soweit das Auge sehen kann. So, jetzt heißt es nochmal konzentrieren. Die Reiseführer haben darauf hingewiesen, dass es gesicherte Stellen gibt. Und schließlich ist das die höchste Überquerung aller Etappen. Die Sonne war schon früh morgens sehr warm, ich konnte mit einem kurzen Hemd loslaufen. Eigentlich schön so. Der Aufstieg sah schon von der Hütte aus sehr steil aus. Also, Schritt für Schritt. Die Stöcke raus und langsam, aber sicher nach oben. Staute es sich da vorne? Ich hörte Gejubel von der Ferne. Da muss wohl eine Gruppe gerade drüber gekrakselt sein. Der Weg wurde schmaler, links harter, spitzer Felsen – rechts, ging es hunderte von Metern nach unten, mindestens. Mir wurde anders, bloß wieder nicht nach rechts sehen. Der Pfad wurde schmaler und schmaler, ich fing an schneller zu Atmen. Scheiße. Es war fast kein Platz mehr für die Stöcke, gleichzeitig versuchen, Tritt zu fassen und auf der anderen Seite mit den Händen an Seilen festzuhalten. Krampfhaft. Ein Vorsprung war direkt vor mir. Hinter mir keine Verfolger. Vor mir eine kleine Gruppe von drei Wanderer, die ich ja schon auf dem Hinweg zu der Hütte kennengelernt hatte.
Eine Frau tat sich auch nicht so einfach. Ihr Partner half ihr, an dem Vorsprung vorbeizukommen. In ging auf die Knie, auf allen Vieren, ist mir egal, meine Knie schrammten auf dem Felsen, mein Blick starr vor Angst keinen Meter weiter. Die Stöcke schnell in den Rucksack. Ich hyperventilierte. Vater uns im Himmel. Es ging nicht weiter, die verdammten Stöckchen hatten sich in den Felsen gebohrt. Ich steckte fest. Ich konnte nicht mehr denken. Ich steckte auf 3000m fest. Ich wusste nicht, wo ich war, auf allen Vieren wieder zurück, die Stöcke lösten sich. Der Wanderer vor mir hatte ein Einsehen, er streckte seine Stöcke mir entgegen. Auf Englisch meinte er, ich solle sie packen, ich mache das gut. Atmen nicht vergessen. Ich fühlte mich nicht existent. Ich war nicht mehr richtig bei Bewusstsein, ich reagierte nur noch. Zentimeter für Zentimeter unter dem Vorsprung durch. Es dauerte eine Ewigkeit.
Ich war durch. Im wahrsten Sinne des Wortes. Auf der anderen Seite musste ich mich erstmal setzen. Die drei vor mir mussten ebenfalls warten, die Frau musste sich auch erstmal ausruhen. Genau jetzt holte ich mir den Whisky raus. Auf diesen Schrecken! Warum um alles in der Welt musste ich das durchziehen. Es kam mir immer noch nicht so richtig eine einleuchtende Antwort. Ich atmete immer noch sehr schnell. Hatte ich Handyempfang? Erstmal zu Hause anrufen und Bescheid geben, dass ich noch am Leben war. Vor mir lag Sölden, Chris ging doch immer hier her. Hey Chris, bin noch am Leben. Mensch ja, das war knapp. Meine Beine zittern noch. Ja, das warum, da bin ich immer noch dran;). Langsam ging es in das Tal hinunter. Es lag Gletscherschnee. Der Himmel war blau und das weiß reflektierte. Man bin ich froh, dass ich das überlebt hatte. Das ich am Leben war. Das ich diese Passage überlebt hatte. Ich war keine Bergziege, trittsicher bin ich immer noch nicht und die Höhenangst ist genauso da wie zuvor. Sehr langsam ging es nun in großen Serpentinen nach unten. Die Drei waren einmal vor mir einmal hinter mir. Das ist doch jetzt das Ötztal oder? Egal, ich war einfach durch und wollte so schnell wie möglich in die nächste Bleibe. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam ich auch dort an, eine Art Jugendherberge, Selbstversorger. Kacke. Ich hatte das kleingedruckte überlesen. Hatte mich schon gewundert, warum das die billigste Unterkunft war.
Ich musste mir mit jemanden das Zimmer teilen. Er wolle unten schlafen, ja schon, aber ich war doch schon hier, als erster, und hab mir schon alles bequem gemacht. Na dann… Wo gibt es hier eigentlich etwas zu trinken, ich habe Durst und etwas Essen wär auch nicht schlecht. Ich bin raus über die Straße, ein Hotel, das sieht doch gut aus, nach der fünfe. Gibt es hier schon etwas zu essen? Wenn ich noch ein wenig warten könne? Klar, wenn´s was zum Trinken gibt? Mal schnell ein Weizen, ja, bitte nochmal. Ein Filet, ja bitte, das große. Medium. Super, perfekt, so muss sein. Gibt es hier auch einen Willy? Sogar den lokalen, ohne Etikett. Jawohl, bitte nochmal. Was kostet denn die ganze Flasche? Ja, auch auf die Rechnung dann bitte. Hui, dann heute wohl früh ins Bett…gute Nacht.










Tag 6. Zwieselstein - Alpenhof
Los ging es früh, wir trafen uns an der vereinbarten Stelle. Höhenanstieg mit 2000 Metern. Mein Rucksack war mit der Willy Flasche etwas schwerer und da es wärmer geworden ist, konnte ich endlich meine Jacke und dickeren Hemden ebenfalls im Rucksack mit verstauen. Der platzte auch fast. Die Frau ist mit dem Bus zum Timmelsjoch gefahren, wir sollten sie dort wieder treffen. Und die zwei Jungs waren schnell unterwegs, zu schnell, sie trainierten ja, und dass ohne zusätzliche Flasche im Gepäck. Ich gab mir alle Mühe so zu tun, als ob alles ziemlich normal ist. Mein Oberschenkel brannten und ich kam jetzt doch außer Luft. Der Anstieg ging über Felder an Bächen vorbei. Noch durfte man nicht aus diesem Bach trinken, da die Obergrenze für Kühe noch nicht erreicht worden ist. Und dadurch konnte das Wasser belastet sein. Die zwei Schnellen hatten ein Einsehen mit mir und gaben mir ab und an auch einen Schluck aus ihrer Flasche. Warum hatte ich eigentlich so wenig mitgenommen? Zu blöd, es ging schneller und schneller und ich wurde langsamer und langsamer. Oben auf 2500 Meter angekommen gab es einen schönen Blick.
Es ging Richtung Italien zu. Ich war platt. Ob ein Radler helfen konnte? Nicht ganz. Und so gingen wir den Abhang nach ca. 30min Verschnaufpause nach unten. Ins Passeiertal. Am Gasthof Hochfirst vorbei, immer den Schildern und Zeichnungen folgend. Apropos, ich habe schon lange keine mehr gesehen, dass ist auch meinen neuen Freunden aufgefallen, die immer noch zu schnell für mich unterwegs waren. Die Sonne wurde wärmer und wärmer, wie? Verlaufen? Wie denn das? Waren das jetzt nicht die ganze Zeit die richtigen Wegweiser, wie schon die letzten 5 Tage? Nicht ganz, in Italien scheint das anders zu sein, etwas legerer gehalten. Aha, also den ganzen Weg wieder zurück? Ja, hier geht es nicht weiter…Sackgasse. Zu blöd.
Meinen schnellen Wanderer war klar, das wird ein langer Tag und es gab noch ein ganzes Stück zu laufen. Das wird schwierig mit jemanden – so wie mich… ich glaub sie haben mir angesehen, dass die Sonne für mich schon ganz schön tief stand. Es war aber auch wärmer hier, Mensch. Ja, schon verstanden, nein, gar kein Problem. Ich sehe es ein. Missmutig bin ich zum Gasthof alleine zurück, den Weg wieder hoch gelaufen. Langsamer und auch müder. War es das jetzt? War hier das Ende der Reise, meiner Überquerung? Selbstverständlich, schließlich war ich ja nun in Italien. Warum sollte ich denn nun noch über Meran reinlaufen. Meine Familie, meine Frau und die drei Jungs, sie kommen doch heute Abend in Naturns an. Die werde ich einfach überraschen! So, super Idee! Es geht nach Hause…bloß wie? In meinem Leben bin ich noch nie als Anhalter bei jemanden wildfremden mitgefahren.
Es war mir heute egal, ich war durch. Am Parkplatz hatte ich Glück, ein jüngerer Fahrer nahm mich 20 km mit, von dort aus können ich mit dem Bus nach Meran fahren. Super, ja, genauso machen wir es. Bei der Busstation eine halbe Stunde später war ich so platt, das sahen dann wohl auch andere wartende Passagiere. Ich solle doch mein Kopf an der Kopfstütze ablegen. Das spart Kraft. In Meran angekommen hab ich mich in ein Taxi gesetzt. Die 50€ waren mir jetzt egal, ich wollte nur noch zu meiner Familie.
Und das Timing war perfekt, ich kam auf dem Zimmer an, meine Frau räumte den Bus nach einer Fahrt von 6h aus, die drei Jungs begrüßten mich wild umarmend, ich bin erlöst, ich bin im Paradies. War mir doch eine Sache auf dieser Reise klar geworden, so war es die Wichtigkeit von Gesundheit und Familie/Freunde. Alles andere ist egal. Ich nahm meine Frau liebevoll in die Arme, ich hatte es geschafft. Aber was habe ich denn tatsächlich geschafft? Ich denke unterm Strich war es vordergründig die Situation mit meinem Vater richtig einzuordnen? Habe ich das gemacht? Hab ich darüber ernsthaft länger als 5min auf der ganzen Überquerung nachgedacht? Nein, habe ich hier für mich etwas erkannt, bestätigt oder greifbarer gemacht? Nein. Wie gesagt, ich war zu arg beschäftigt, mich auf den Weg zu konzentrieren, Schritt für Schritt. Wahrscheinlich habe ich mein Ego die ganze Zeit vor mir hergeschoben. Ich danke Gott, dass ich meine Familie gesund wieder gesehen habe. Nochmal rüber? Nein, ganz bestimmt nicht, und ganz bestimmt nicht mit so einer lausigen Vorbereitung.









